
Heute sind es Sophie und Noah, vor 50 Jahren waren es Sabine und Thomas: Der eine oder die andere hat sich vielleicht schon einmal gefragt, warum gefühlt jedes dritte Kind im Kindergarten denselben Namen trägt. Dabei scheint es heute so viele Namen zu geben wie nie zuvor! Trotzdem halten sich dieselben Spitzenreiter stets für einige Jahre auf den vorderen Plätzen, bevor sie wieder seltener vergeben werden. Doch wie sind sie eigentlich dort hingelangt?
Die kurze Antwort: Vornamen folgen, ähnlich wie Kleidung oder Musik, ganz bestimmten Trendzyklen – wenn auch deutlich langsamer. Wie genau das funktioniert, zeigt der folgende Überblick.
Die vier Phasen der Vornamentrends
In der Onomastik, der Namenskunde, geht man von vier Phasen aus, die ein Trendname typischerweise durchläuft:
Phase 1: „Neuer“ Name: Ein Name wird (wieder-)entdeckt oder erfunden. Zunächst ist er noch selten.
Phase 2: Ausbreitung: Mit der Zeit setzt ein Nachahmungseffekt ein: Der Name wird beliebter und verbreitet sich schnell.
Phase 3: Höhepunkt: Der Name erreicht die Phase größter Beliebtheit – fast alle kennen ein Kind mit diesem Namen.
Phase 4: Rückgang: Die Beliebtheit lässt nach; der Name wird wieder seltener vergeben.
Das Beispiel Kevin
Der Name Kevin war bei uns zunächst selten und wurde vor allem in wohlhabenderen Kreisen vergeben (Phase 1). Durch den Film „Kevin – Allein zu Haus“ wurde er Anfang der 1990er-Jahre dann in der breiten Bevölkerung bekannt und immer häufiger vergeben (Phase 2). Schnell erreichte er den Höhepunkt seiner Beliebtheit (Phase 3). Ab Ende der 1990er-Jahre wurde er wieder seltener gewählt (Phase 4). Heute ist der Name oftmals negativ konnotiert. In Verruf geriet Kevin allerdings erst 2008 durch eine Studie unter Lehrkräften, in der es hieß, Kevin sei kein Name, „sondern eine Diagnose“ (Kaiser/Kube).
Vornamen als soziales Erkennungszeichen
Hieraus ergibt sich die Frage: Warum setzen sich manche Vornamen überhaupt auf diese Weise durch? An dieser Stelle kommen die sozialen Schichten ins Spiel. So belegen Studien seit Jahrzehnten, dass die Wahl des Vornamens oft unbewusst von der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht geprägt ist. Demnach
- neigen die obere und die untere soziale Schicht eher zu kreativen, unkonventionellen oder neuartigen Namen, während
- die Mittelschicht öfter zu traditionellen, weniger auffälligen Varianten greift.
Nachahmung und Streben nach Exklusivität
Der Mechanismus dahinter gleicht einem fortwährenden Kreislauf: Die gesellschaftliche Oberschicht sucht nach Namen, die sonst niemand trägt – ein Zeichen für Exklusivität, mit dem man sich von den anderen Schichten abheben will. So wirken diese Namen durch ihren „Prestige-Faktor“ anziehend auf andere Schichten, die sie nach und nach übernehmen. Sobald sie in der breiten Masse angekommen sind, werden sie für die Oberschicht uninteressant: Sie sucht nach neuen „Exklusivnamen“.
Gleichzeitig möchte sich auch die untere soziale Schicht abheben und strebt nach sozialer Aufwertung. Dazu werden jedoch nicht nur „Oberschichtsnamen“ kopiert, sondern es entstehen zum Teil eigene, sehr originelle Kreationen – so auch zahlreiche ungewöhnliche Schreibweisen oder besonders ausgefallene Namensvarianten.
Warum alte Vornamen wieder häufiger werden
Viele Namen, die in jüngeren Ohren lange als altmodisch galten – darunter etwa Emma, Ida, Emil und Karl –, erleben derzeit ein Comeback. Das liegt daran, dass sie mit der Zeit (und dadurch, dass es immer weniger Namensträger/-innen gab) mehr und mehr in Vergessenheit gerieten – bis sie schließlich wiederentdeckt wurden und der Kreislauf in Gang gesetzt wurde: So wurden sie zunächst vereinzelt in bestimmten Kreisen, meist in der Oberschicht, wieder vergeben. Mittlerweile haben sie sich in der Mitte der Gesellschaft etabliert – bis sie vermutlich irgendwann wieder aus der Mode geraten.
Schönheit liegt im Trend – nicht nur im Auge des Betrachters
Eine Studie zu den Motiven der Vornamenwahl aus dem Jahr 2014 zeigt: Bei der Namenswahl steht für Eltern vor allem die Ästhetik des Namens im Vordergrund. Aber Vorsicht: Was wir als „schön“ empfinden, ist selten zeitlos. Oft folgt unsere Wahl unbewusst dem herrschenden Zeitgeist. Wir glauben, einen besonders seltenen Namen gefunden zu haben – nur um später festzustellen, dass viele andere Eltern die gleiche Idee hatten.
Vornamenmoden in den Regionen
Auch geografisch breiten sich Vornamentrends aus. Aktuell lassen sich gleich zwei beobachten:
- Von Norden nach Süden: Namen wie Finn, Henry, Ella und Ida, einst vor allem im Norden vergeben, tauchen nun zunehmend in südlicheren Bundesländern auf.
- Von Osten nach Westen: Im Osten beliebte Vornamen wie Charlotte, Mathilda, Frieda, Karl, Emil und Oskar finden mittlerweile auch in westdeutschen Regionen immer mehr Fans.
Fazit
Vornamen sind mehr als nur eine persönliche Entscheidung. Sie sind Teil eines sozialen Spiels, Ausdruck von Zugehörigkeit oder Abgrenzung – und manchmal schlicht von Modewellen, denen wir ganz unbewusst folgen. So könnte der Name, den wir heute für besonders individuell halten, schon morgen mehrfach unter dem Foto einer ganzen Kita-Gruppe auftauchen.
Quellen
Friedhelm Debus, Namenkunde und Namengeschichte. Berlin 2012.
Astrid Kaiser/Julia Kube, Studie „Vornamen und Vorurteile bei Grundschullehrern“. Universität Oldenburg 2008.
Frauke Rüdebusch, Die beliebtesten Vornamen 2018. In: Der Sprachdienst 3–4/2019.






