
Jedes Jahr veröffentlicht die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) die bundesweite Hitliste der beliebtesten Vornamen. Und wenn man die Top Ten der letzten Jahre betrachtet, könnte der Eindruck entstehen, in der ganzen Republik würden Kinder die gleichen Namen erhalten. Doch schaut man genauer hin – nämlich auf die Toplisten der einzelnen Regionen –, zeigt sich ein viel bunteres Bild: Denn gerade zwischen dem Norden und dem Süden sowie dem Osten und dem Westen gibt es feine, aber doch erkennbare Unterschiede in den Vornamenpräferenzen. Und diese sind von Religion und Geschichte, aber auch von Modewellen und kulturellen Einflüssen geprägt.
Die Vornamenlisten der GfdS erzählen also nicht nur etwas über die aktuellen Vornamentrends in Deutschland, sondern auch über regionale Traditionen und gesellschaftliche Strömungen. Wer genauer hinsieht, erkennt in ihnen eine Art kulturelle Landkarte. In diesem Artikel schauen wir uns die Namenrankings der vergangenen Jahrgänge in den Regionen Nord, Süd, West und Ost etwas detaillierter an.
So sind die Regionen definiert
Nord und Süd
Nord:
- Schleswig-Holstein
- nördliches Niedersachsen (nördlich von Hannover, Hannover ausgeschlossen)
- Mecklenburg-Vorpommern
- nördliches Brandenburg (nördlich von Berlin)
- ein kleiner Teil Sachsen-Anhalts
Süd:
- südliches Rheinland-Pfalz
- Baden-Württemberg ohne die Regionen Heidelberg und Mannheim
- Bayern ohne die Kreise Würzburg, Bamberg, Hof und Aschaffenburg
West und Ost
Die Unterscheidung in West und Ost wurde anhand des alten Grenzverlaufs zwischen BRD und DDR vorgenommen:
West: Dies sind die „alten“ Bundesländer.
Ost: Diese Daten stammen aus den „neuen“ Bundesländern.
Näheres zur Zusammensetzung der Daten erfährst du im Artikel „Nord, Süd, West, Ost: So setzen sich die Daten für die Regionen zusammen“.
Nord und Süd: Skandinavische Kürze vs. katholische Tradition
1. Länge und Klang
Im Norden dominieren kurze, klare Formen, nämlich Namen wie Finn, Ben, Ida und Mia. Die hier beliebten Namen sind zumeist einsilbig oder zweisilbig, leicht auszusprechen und haben vorwiegend helle Vokale sowie weiche, sonore Konsonanten. Damit liegen sie gerade sehr im Trend. Sie wirken modern, bodenständig und international verständlich.
Im Süden dagegen wählt man gern längere Namen, hier sind Maximilian, Katharina, Magdalena und Alexander auffallend beliebt. Sie sind mehrsilbig, klangvoll und vermitteln ein Gefühl von Bedeutsamkeit und Würde. Während der Norden Kürze bevorzugt, schätzt man im Süden Fülle.
2. Herkunft und Tradition
Im Norden finden sich viele Kurzformen und skandinavische Einflüsse, gut erkennbar an Namen wie Ole, Mats, Lasse und Greta. Kurzformen sind typisch für protestantisch geprägte Gegenden, wo man im Laufe der Zeit dazu überging, lange kirchliche Namen zu verkürzen (Johannes → Jan, Margarethe → Greta).
Im Süden spielen biblische und lateinische Namen eine große Rolle, so werden etwa Maria, Anna, Lukas, Benedikt und Josef gern vergeben. Das ist kein Zufall: Gerade in katholisch geprägten Gegenden ist die Vorliebe für Heiligennamen stark geblieben. Eltern setzen damit bewusst ein Zeichen von Tradition und Religiosität.
3. Bedeutung von Trends
Der Norden ist experimentierfreudiger, das heißt, hier tauchen neue Namen schneller in den Toplisten auf. Auch „nordisch anmutende“ Formen wie Fiete, Joris oder Malte – Namen, die im Süden selten vorkommen – klettern die Ranglisten schnell empor.
Der Süden dagegen ist konservativer. Viele klassische Namen halten sich dort recht stabil, sowohl bei den Erst- als auch bei den Folgenamen (also Zweit-, Drittnamen etc.), so etwa Lukas und Maximilian bei den Jungen, Anna und Marie bei den Mädchen.
4. Gesellschaftliche Einordnung
Der Norden zeigte sich historisch besonders empfänglich für die kulturellen Einflüsse Skandinaviens sowie für die Ideen des Protestantismus. Hier entwickelte sich eine Vorliebe für kürzere, „alltagstaugliche“ Namen, die nicht so stark von kirchlicher Tradition geprägt sind.
Der Süden hingegen, besonders Bayern, war über Jahrhunderte stark katholisch und konservativ. Hier blieben lange, biblische Namen als Ausdruck von Frömmigkeit und Stabilität bestehen.
Ost und West: Innovation vs. Beständigkeit
1. Länge und Klang
Im Osten tauchen viele „alte“ Namen auf, so finden sich hier etwa Karl, Oskar, Emil, Frieda und Mathilda. Sie sind meist einsilbig oder zweisilbig und wirken bodenständig.
Im Westen dominieren dagegen moderne Klassiker wie Elias, Noah, Leon, Sophia und Anna. Diese Namen entsprechen stärker dem bundesweiten Trend und wirken international verständlich. Sie enthalten vielfach helle Vokale und sonore Konsonanten wie m, n und l, daher ist ihr Klang oft melodischer und zum Teil weicher als die im Osten beliebten Namen.
2. Herkunft und Tradition
Im Osten werden auffallend häufig Namen aus der Großeltern-Generation wiederentdeckt. Sie gewinnen gerade deshalb neu an Beliebtheit, weil es inzwischen immer weniger ältere Menschen gibt, die so heißen. Während diese Namen in anderen Regionen länger als altmodisch galten, haben sie hier als Erstes eine Renaissance erfahren. So waren Namen wie Oskar, Karl oder Frieda – übrigens auch Paul und Emma – im Osten schon wieder modern, als sie im Westen noch als ungewöhnlich galten. (Lies dazu auch den Artikel Wie Vornamentrends entstehen – und warum wir oft glauben, besonders kreativ zu sein.)
Im Westen spielen dagegen Namen aus unterschiedlichen Herkunftskulturen eine größere Rolle, so biblische, griechische und lateinische Namen wie Sophia, Hanna, Elias, Noah und Leon. Sie sind tief in der christlichen Tradition verwurzelt, wirken aber zugleich international und anschlussfähig. Die Ranglisten des Westens stimmen daher – schon aufgrund der zahlenmäßigen Verteilung – stärker mit der bundesweiten Statistik überein.
3. Bedeutung von Trends
Der Osten gilt als innovativer. Trends wie die Wiederentdeckung alter Namen greifen hier schneller. Was im Osten in den Top Ten auftaucht, findet sich oft erst Jahre später im Westen oder in der bundesweiten Liste wieder. Namen wie Frieda oder Emil sind dafür gute Beispiele.
Der Westen ist dagegen stärker stabilisierend. Hier spiegelt sich der bundesweite Durchschnitt, nämlich die bekannten Favoriten, die überall in Deutschland vorkommen (genauer nachzulesen im Artikel zu den Namenstrends der letzten Jahrzehnte). Damit ist der Westen weniger experimentell, vielmehr bildet er repräsentativ aktuelle Trends ab.
4. Gesellschaftliche Einordnung
Die Unterschiede zwischen Ost und West haben zum Teil historische Wurzeln. Im Osten, genauer in der DDR, spielte Religion eine geringere Rolle, daher verloren biblische Namen zeitweise an Gewicht. Stattdessen griff man auf alte deutsche Namen zurück – ein Trend, der nach der Wende weiterlebte und heute wieder modern wirkt.
Im Westen hingegen war die christlich-katholische Tradition durchgehend präsent, und internationale Einflüsse griffen schneller. Dadurch finden sich hier häufiger Namen, die auch im internationalen Kontext funktionieren.
Gemeinsame Favoriten als verbindendes Element
Bei allen Unterschieden gibt es natürlich auch Namen, die über die Grenzen der Regionen hinaus beliebt sind. So gehören Namen wie Marie, Sophie, Paul, Elias, Emma in allen Regionen – Nord, Süd, Ost und West – gleichermaßen zu den Favoriten. Dabei erfüllen sie unterschiedliche Rollen: Marie und Sophie sind klassische Folgenamen, die fast jede Kombination abrunden. Emma oder Paul hingegen stehen meist als Rufnamen an erster Stelle. In Kombination entsteht eine Balance aus Modernität und Tradition (Näheres dazu im Artikel Erst- und Folgenamen: Die verborgene Dynamik hinter den Vornamenlisten.)
Fazit
Ein Finn aus Kiel, eine Anna aus München, ein Oskar aus Leipzig und eine Sophia aus Köln – schon diese vier Beispiele machen deutlich, wie unterschiedlich Eltern in Deutschland ihre Kinder benennen. Während im Norden die Nähe zu Skandinavien spürbar wird, im Süden die katholische Tradition dominiert, der Osten alte Namen neu entdeckt und der Westen den bundesweiten Durchschnitt abbildet, finden sich doch überall gemeinsame Lieblinge. Und doch verbindet sie eines: der Wunsch, einen Namen zu finden, der schön klingt, Bedeutung trägt und zum eigenen Nachwuchs passt. (Wer noch auf der Suche nach seinem ultimativen Wunschnamen ist, der findet hier ein paar Tipps.)
Vornamen sind damit mehr als nur persönliche Entscheidungen – sie sind kleine Kennzeichen von Kultur. Sie erzählen von Geschichte und Religion, von Tradition und Modernität, von Bewahrung und Offenheit. Und sie zeigen, dass Deutschland trotz aller regionalen Unterschiede eine gemeinsame Basis hat: Namen, die über Generationen hinweg verbinden und Bestand haben.






