Erstnamen und Folgenamen: Die verborgene Dynamik hinter den Vornamenlisten

Jedes Jahr veröffentlicht die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) ihre Liste der beliebtesten Vornamen. Seit 2017 unterscheidet sie dabei nach Erst- und Folgenamen – also jenen Namen, die als einzige Namen an Kinder vergeben werden bzw. bei Mehrfachnamen an erster Stelle stehen, und solchen, die bei Mehrfachnamen als zweite, dritte, vierte etc. Vornamen vergeben werden. Diese Unterscheidung lässt eine Dynamik hinter diesen beiden Namenskategorien erkennen. So liegen der Vergabe von Erst- und Folgenamen nicht nur unterschiedlichen Motive zugrunde, die Namen folgen auch ihren ganz eigenen Regeln: in Bezug auf ihre Funktion, ihren Klang und ihre Beliebtheit. Dieser Dynamik widmen wir uns im Folgenden etwas genauer: Was genau macht eigentlich den Charakter von Erst- und Folgenamen aus? Wo liegen ihre Gemeinsamkeiten und wo ihre Unterschiede? Und was sagen die beiden GfdS-Listen über den Zeitgeist aus?

Wozu zwei Listen?

Erstnamen werden in etwa 90 % der Fälle als Rufnamen verwendet (Näheres zur Definition von Erst-, Folge- und Rufnamen) – sie bestimmen, wie ein Kind im Alltag heißt: zuhause, in der Schule, im Sportverein. Folgenamen können diesen Erstnamen ergänzen, ihre Vergabe bewahrt die Familiengeschichte, ehrt Bezugspersonen oder rundet den Klang ab. Deshalb gestalten sich die Listen der Erst- und Folgenamen sehr unterschiedlich: Erstnamen sind modischer und wechselhafter, Folgenamen sind traditionsgebundener und beständiger.

In Deutschland erhält jedes Kind einen Erstnamen, während mehr als ein Drittel aller Neugeborenen zusätzlich mit einem zweiten oder sogar weiteren Namen ausgestattet wird. Auffällig dabei ist – das zeigen die Daten –, dass der Namenschatz, aus dem Eltern den Erstnamen wählen, weitaus größer ist als jener für die Folgenamen. Daraus ergibt sich, dass vor allem die Erstnamen die Dynamik und die Moden der Namenswahl widerspiegeln. In den Gesamtranglisten, in denen die GfdS Erst- und Folgenamen zusammenführt, verschwimmt diese Klarheit: Hier prägen insbesondere die Folgenamen das Ergebnis, da die Spitzenreiter der Folgenamen als solche weit häufiger vergeben werden als die Spitzenreiter der Erstnamen. Um ein möglichst aussagekräftiges Ergebnis der Erhebung zu erhalten, werden daher Erst- und Folgenamen in getrennten Listen ausgewertet.

Erstnamen: kurz, klangvoll, zeitgemäß

Eltern wählen den Erstnamen in der Regel mit Blick auf Aktualität und Alltagstauglichkeit: Der Name soll modern, leicht auszusprechen und gern auch international verständlich sein (natürlich in subjektiver Hinsicht). Häufig punkten kurze, zweisilbige Formen mit hellen Vokalen (e, i, a) und weichen, melodischen Konsonanten (m, n, l). Beispiele aus den Top Ten der vergangenen Jahre zeigen das deutlich: Bei Mädchen dominieren Namen wie Mia, Lina, Ella, Mila, bei Jungen Noah, Leon, Emil, Elias. Solche Namen wirken freundlich und klingen „leicht“, gleichzeitig sind sie sprachübergreifend vertraut.

Dass Trends mitunter schnell greifen, zeigt der Neueinstieg der Vornamen Lia und Liam in die Top 10 der Erstnamen – im Jahrgang 2023 jeweils um mehrere Plätze aufgestiegen. Erstnamen bilden also die „Schaufensterseite“ der Namensmode – hier bildet sich ab, was bei Eltern aktuell im Trend liegt.

Folgenamen: beständig, bedeutungsvoll, verbindend

Folgenamen erzählen eine andere Geschichte. Durch sie werden Familientraditionen weitergeführt, sie knüpfen religiöse oder kulturelle Bezüge und sorgen oft für Klangbalance im Gesamtnamen. Deshalb finden sich hier seit Jahren dieselben „Giganten“. Bei den Mädchen führen Sophie, Marie, Maria, Luise und Elisabeth, bei den Jungen Alexander, Maximilian, Paul, Elias und Karl. Die hier beliebten Namen sind in der Regel länger, enthalten oft mehr Konsonanten, folgen aber keinem so klaren Klangmuster wie die Top Ten der Erstnamen.

Bemerkenswert: Manche dieser Klassiker tauchen als Erstname nur selten auf, prägen aber die Folgenamenlisten deutlich. Sophie und Marie wurden 2024 für jeweils fast fünf Prozent der neugeborenen Mädchen, die mehr als einen Vornamen erhalten haben, als Folgenamen gewählt; Alexander und Maximilian erfüllen bei den Jungen eine ähnliche Rolle. Folgenamen sind damit die Konstante in einer sich wandelnden Namenslandschaft.

Überlappungen und klare Trennlinien

Natürlich gibt es Schnittmengen. Namen wie Emilia und Sophia bei den Mädchen, Paul, Elias und Emil bei den Jungen funktionieren in beiden „Welten“: modern genug für den Rufnamen, klassisch genug für die Folgenamenliste. Andere weisen eine klare Zuordnung auf: Luise und Elisabeth, Joseph und Michael erscheinen überwiegend als Folgenamen, Mila und Lia, Theo und Leon sind als Erstnamen deutlich beliebter.

Dieses Muster lässt auch erahnen, wie Eltern über Namenskombinationen nachdenken: Ein moderner Erstname erhält mit einem klassischen Folgenamen Bodenhaftung – Emilia Sophie oder Noah Alexander sind typische Paarungen, die Mode und Tradition elegant verbinden (Näheres zu den beliebtesten Kombinationen bei Bindestrichnamen).

Die hartnäckigen Top 3 – warum manche Erstnamen vorn bleiben

An den Spitzenplätzen der Erstnamen ändert sich erstaunlich wenig. Noah hält sich seit Jahren ganz oben, bei den Mädchen rotieren Sophia/Sofia, Emilia, Emma auf den vorderen Rängen. Warum sind gerade diese Namen so beliebt? Es ist die Kombination aus diesen Faktoren:

  • Klang: Die Namen sind kurz, wohltönend und intuitiv aussprechbar.
  • Internationale Verbreitung: Sie sind in vielen Sprachen bekannt und somit unkompliziert.
  • Zeitlose Mischung: Einerseits sind sie modern, aber nicht zu modisch; andererseits klassisch, aber nicht altbacken.
  • Soziale Bestätigung: Beliebte Namen wie diese werden im Umfeld häufiger gehört – das schafft Vertrauen.

Unterhalb der Top 3 ist die Bewegung größer: Neue Favoriten wie Theo oder Lia streben nach oben, andere verlieren an Rängen. Doch bis ein Name in die allererste Reihe vordringt oder sie wieder verlässt, kann sogar ein Jahrzehnt oder mehr vergehen.

Die Macht der Folgenamen – wie sie die Statistik prägen

Folgenamen beeinflussen die Gesamtlage stärker, als man denkt. Weil viele Kinder zwei oder mehr Vornamen bekommen, erhöhen häufige Folgenamen die Sichtbarkeit bestimmter Formen in der Gesamtstatistik – auch wenn sie selten Rufnamen sind. So erklärt sich, warum Sophie und Marie, Alexander und Maximilian in der Gesamtschau besonders präsent bleiben.

Folgenamen helfen außerdem, Namenskombinationen ins Gleichgewicht zu bringen: Ein sehr moderner Rufname erhält mit einem klassischen Folgenamen ein zeitloses Gegengewicht; umgekehrt verleiht ein frischer Folgename einem traditionellen Erstnamen Leichtigkeit. Auch zur Unterscheidung mehrerer Kinder mit dem gleichen Erstnamen sind Folgenamen praktisch: etwa Luca Paul vs. Luca Alexander.

Klang und Bedeutung beeinflussen die Namenswahl

Auf der klanglichen Ebene ergänzen sich beide Namensarten oft bewusst. Erstnamen sind häufig zweisilbig, hell und melodisch (Lina, Ella, Luca, Noah), Folgenamen bringen „Gewicht“ und Länge (Alexander, Maximilian, Elisabeth). Zusammen entsteht eine harmonische Komposition, die sowohl modern als auch klassisch wirkt – genau dieser Mix überzeugt viele Eltern.

Laut einer Studie der GfdS aus dem Jahr 2014 zu den Motiven der Vornamenwahl werden Doppelnamen in der Tat vor allem deshalb vergeben, weil die Eltern sie einfach schön finden (33 %) – für immerhin 29 % der Eltern hat der Folgename hingegen eine bestimmte Bedeutung, z. B. weil es sich um einen in der Familie weitergegebenen Namen handelt (mehr zur Studie erfährst du im Artikel „Tradition oder Trend – was beeinflusst Eltern bei der Namenswahl). Bei dieser sogenannten Nachbenennung werden Namen von Großeltern, Pat(inn)en oder anderen Bezugspersonen weitergegeben – als Zeichen der Verbundenheit. Historische Muster wie die „Erbnamensitte“ ordneten in früheren Zeiten sogar Reihenfolgen zu („der erste Sohn wird nach dem Großvater väterlicherseits benannt“ usw.).

Fazit

Die Ranglisten erzählen von zwei Namenswelten: Der Erstname spiegelt die Trends der Gegenwart wider – kurz, klangvoll, international. Der Folgename ist vielfach mit der Familiengeschichte verbunden, beständig und bedeutungsvoll. Ein so entstehender Gesamtname kann beides: heute den Zeitgeist treffen und auch morgen noch der Tradition folgen.

So wird erst durch die getrennte Betrachtung der beiden Kategorien Erst- und Folgename deutlich, warum Sophia als Erstname neben Sophie als Folgename glänzt, Noah konstant an der Spitze der Erstnamen steht und Namen wie Alexander oder Marie seit Jahren die traditionelle Säule der Folgenamen-Statistiken bilden.

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