
Geben Eltern, die in der Stadt leben, ihren Kindern eigentlich andere Vornamen als Eltern, die auf dem Land leben? Diese Frage liegt nahe, wenn man über regionale Namensvorlieben nachdenkt. Um sie zu beantworten, wurde eine genauere Untersuchung durchgeführt. Zugrunde lag die Statistik der im Jahr 2020 vergebenen Vornamen, die jährlich von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) erhoben und veröffentlicht wird. Doch trotz der präzisen Datenlage ist ein genauer Vergleich zwischen „städtischen“ und „ländlichen“ Namen schwieriger als gedacht. Warum das so ist und welche Erkenntnisse trotzdem gewonnen werden können, zeigt dieser Beitrag.
Die Schwierigkeit eines Stadt-Land-Vergleichs
In Deutschland gibt es mehr als 4.000 Standesämter – doch nicht in allen werden Geburten beurkundet. Denn wenn ein Kind im Krankenhaus zur Welt kommt – was bei rund 98 % aller Geburten der Fall ist – erfolgt die Beurkundung beim Standesamt am Standort der Klinik, also nicht am Wohnort der Familie. So fahren Eltern, die auf dem Land wohnen, zur Entbindung meist in die nächstgelegene Stadt – und dadurch tauchen viele „Landkinder“ in der Statistik der Stadtstandesämter auf.
Die Folge: Die meisten Namen in der GfdS-Statistik stammen von Standesämtern mit hohen Geburtenzahlen – also meist aus größeren Städten. Ein exakter Stadt-Land-Vergleich ist daher kaum möglich. Dennoch lassen sich interessante Unterschiede aufzeigen, wenn man die Standesämter in vier Kategorien einteilt, nämlich nach der Anzahl der bei ihnen beurkundeten Geburten:
- 1–100 Geburten im Jahr (meist ländlich)
- 101–1000 Geburten
- 1001–5000 Geburten
- über 5000 Geburten (Großstädte)
Was die Zahlen zeigen
Für die Analyse wurden Daten von 703 Standesämtern aus dem Jahr 2020 ausgewertet, die insgesamt knapp 688.000 Geburten registrierten. Dabei zeigt sich ein deutliches Ungleichgewicht: Über ein Drittel aller Ämter gehören zur ersten Kategorie mit nur bis zu 100 Geburten im Jahr. Sie machen 36 % der Standesämter aus, sind aber nur für 0,4 % aller Geburten verantwortlich. Ganz anders die Ämter mit vielen Geburten: Nur 5,5 % der Standesämter verzeichnen mehr als 5.000 Geburten – dort werden aber rund 30 % aller Geburten registriert.
Rechnet man die Geburten der beiden größten Kategorien (ab 1.000 Geburten pro Amt) zusammen, ergibt sich: Fast 80 % aller erfassten Kinder wurden in Städten oder Ballungsräumen beurkundet. Das heißt allerdings nicht, dass vier von fünf Kindern in Städten leben – sondern vor allem, dass auch viele Landkinder in städtischen Kliniken zur Welt kommen.
Interessant ist außerdem: In den „kleinen“ Ämtern – also solchen, die weniger als 100 Namen beurkundet haben; die Ämter selbst müssen nicht notwendigerweise klein sein – wurden Vornamen im Schnitt nur 2- bis 3-mal vergeben. In „größeren“ Ämtern kommen dieselben Namen häufiger vor, dort werden einzelne Vornamen im Schnitt 9- bis 12-mal vergeben. Kleine Standesämter zeigten also eine große Namensvielfalt bei kleiner Fallzahl. Große Ämter spiegelten die beliebtesten Namen breiter wider – aber auch mit höherer Wiederholungsrate.
Entsprechend unterschiedlich war auch die Namensvielfalt. In kleinen Ämtern wurden viele Namen nur ein einziges Mal vergeben. In den Großstädten war der Anteil seltener oder einmal vergebener Namen zwar geringer – aber der Namensschatz, auf den dort zurückgegriffen wurde, war deutlich größer und kreativer.
Nur einmal vergebene Namen aus kleinen Standesämtern waren etwa Gwendoline, Tarja und Ylvie, Filian, Luzio und Volker. In den Städten hingegen begegnet man auch sehr ungewöhnlichen oder internationalen Namen wie Maylano, Oghogho, Roxy-Rosalie und Tobi-Praise.
Top Ten der Mädchen-Erstnamen: erstaunlich einheitlich
Bei den Mädchen zeigen sich erstaunlich viele Überschneidungen bei den vier Standesamt-Kategorien. Namen wie Lina, Emma, Mia, Hanna(h), Lea(h), Mila und Sophia/Sofia tauchen kategorienübergreifend auf.
Der größte Unterschied: In kleinen Ämtern steht Lina auf Platz 1 – in den Großstädten findet sich der Name höchstens auf Platz 6. Zu den Top Ten der „kleinsten“ Standesämter gehören zudem Mathilda, Maja und Lotta, die es in anderen Kategorien nicht ganz nach oben schaffen.
Top Ten der Jungen-Erstnamen: deutlich vielfältiger
Ganz anders bei den Jungen, bei denen die Liste wesentlich abwechslungsreicher ist. Zwar taucht Noah in fast allen Kategorien ganz oben auf – aber sonst gibt es deutlich mehr Unterschiede. Nur zwei Namen, Noah und Mat(h)eo, sind in allen vier Kategorien in den Top Ten vertreten. Namen wie Jakob, Liam, Jonas, Samuel oder Luca finden sich nur in den Bestenlisten der kleinen Ämter.
Fazit: Unterschiede ja – aber nicht so eindeutig wie gedacht
Die Analyse zeigt, dass ein echter Stadt-Land-Vergleich mit den verfügbaren Daten kaum machbar ist – dafür ist die Beurkundungspraxis zu stark auf Städte konzentriert. Doch innerhalb der vier Standesamt-Kategorien gibt es durchaus erkennbare Trends:
- Die beliebtesten Mädchennamen sind in ganz Deutschland relativ einheitlich – egal ob in der Stadt oder auf dem Land.
- Jungennamen zeigen größere Vielfalt – besonders in kleinen Standesämtern.
- Die Namen, die in den Ämtern mit wenigen Geburten beurkundet werden, unterscheiden sich deutlich von jenen in Standesämtern mit vielen Beurkundungen.
- Die größten Unterschiede zeigen sich dabei nicht etwa zwischen Land (die „kleinsten“ Ämter) und Großstadt (die „größten“ Ämter), sondern zwischen den sehr kleinen und mittelgroßen Standesämtern.
Für weiterführende Erkenntnisse bräuchte es genauere Daten – etwa zum tatsächlichen Wohnort der Eltern oder einen Vergleich mit den Meldedaten. Doch auch so bietet diese Auswertung einen spannenden Einblick in die Welt der Vornamen und zeigt: Je nach Größe des Einzugsgebiets eines Standesamts (je größer das Gebiet, desto mehr Geburten werden beurkundet) – und damit meist auch je nach Region – können die Namensvorlieben der Eltern durchaus variieren.
Quelle
Frauke Rüdebusch: Stadt – Land – Vornamen. Die beliebtesten Vornamen 2020. In: Der Sprachdienst 5/2021.






