Namen ohne Grenzen? Die Entwicklung von Unisexnamen

Namen wie Toni, Mika, Lou oder Charlie sind heute nicht mehr selten. Nicht unbedingt bekannt ist in vielen Fällen allerdings, ob es sich bei Kindern mit diesen Namen um Jungen oder Mädchen handelt. Mach doch selbst einmal die Probe: An welches Geschlecht denkst du bei diesen Namen als Erstes?

Immer mehr Eltern entscheiden sich für Vornamen, die nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können – also geschlechtsneutrale Namen bzw. sogenannte Unisexnamen. Was genau dahintersteckt, woher diese Namen kommen und wie sie sich in Deutschland entwickelt haben, schauen wir uns einmal genauer an.

Früher war alles klar – oder?

Im deutschen Sprachraum hat man über Jahrhunderte hinweg geschlechtsspezifische Namen vergeben, also „typisch weibliche“ Namen für Mädchen und „typisch männliche“ Namen für Jungen. Damit war immer klar: Julia ist ein Mädchen, Julius ein Junge – die Endung des Namens macht es deutlich. Auch Boris ist eindeutig männlich und Doris ganz klar weiblich – das weiß man einfach, auch wenn beide Namen sich so ähnlich sind. Beide „Namenswelten“ waren somit klar voneinander abgegrenzt, Überschneidungen gab es zumindest bei den einheimischen Namen nicht.

Das war nicht nur in Deutschland so: In vielen Kulturen auf der Welt gab und gibt es eigene Namenslisten für Mädchen und Jungen. Tatsächlich gibt es nur wenige Kulturen, die Unisexnamen vergeben – die hawaiianische und die Sikh-Kultur sind Beispiele dafür: Sofern die Bedeutung eines Namens nicht etwas anderes angibt (etwa ‚starker Mann‘ oder ‚Prinzessin‘), können hier alle Namen für alle Kinder vergeben werden.

Wie wird ein Name eigentlich „männlich“ oder „weiblich“?

Ob ein Vorname als weiblich oder männlich wahrgenommen wird, hängt meistens von drei Dingen ab:

  1. Bedeutung: Manche Namen haben eine typische Bedeutung – etwa Stärke für Jungen (Eberhard) oder Sanftheit für Mädchen (Rosalind). Der Bezug zu einem bestimmten Geschlecht kann sogar am Namen selbst deutlich werden (Tillmann, Frauke).
  2. Klang und Endung: Namen mit -a oder -e am Ende (Julia, Hanne) sind bei uns oft weiblich, solche mit -o oder -us eher männlich (Nico, Julius).
  3. Wissen und Gewohnheit: Viele Namen gelten einfach als „typisch männlich“ oder „typisch weiblich“, weil wir sie seit jeher so kennen – auch wenn dies nicht an ihrer Struktur abzulesen ist (Doris vs. Boris; Knut vs. Ruth).

Vor allem Letzteres – also unser Weltwissen, unsere Erfahrung und Gewohnheit – spielt hierzulande bei der Einordnung von Vornamen als männlich oder weiblich eine große Rolle.

Wie kam es zu Unisexamen?

Inzwischen hat sich einiges getan. Die klare Trennung von Mädchen- und Jungennamen wird zunehmend durchlässiger. Es gibt heute viele Namen, die man nicht sofort einem Geschlecht zuordnen kann. Das liegt an mehreren Entwicklungen:

1. Einflüsse aus anderen Sprachen und Kulturen

Durch Zuwanderung und Globalisierung kommen viele neue Namen nach Deutschland, die wir nicht sofort einordnen können. Namen wie Luca, Mika, Andrea und Simone sind ursprünglich männlich, werden aber wegen der Endung auf -a oder -e auch als weiblich wahrgenommen – wobei Andrea und Simone auch als weibliche Entsprechungen von Andre und Simon aufgefasst werden können. Andere Namen wie Kaya oder Iman gelten schon in ihrer Ursprungskultur als geschlechtsneutral und sind entsprechend übernommen worden.

Auch die unbegrenzten Möglichkeiten der Vornamenvergabe in den USA führen zur Entstehung von Unisexnamen: So können dort Mädchen auch Jungennamen und Jungen auch Mädchennamen erhalten – Letzteres ist jedoch seltener der Fall. Dadurch werden ursprünglich geschlechtsspezifische Namen auch bei uns mit der Zeit zu Unisexnamen (z. B. Taylor, Riley, Quinn, Ashley) – nämlich dann, wenn es eine ausreichende Anzahl an Namensträgern gibt.

2. Namensgleichklang

Manche Namen klingen gleich, obwohl sie aus verschiedenen Sprachen stammen und verschiedene Bedeutungen haben. So zum Beispiel beim Namen Isa: Dieser ist im Deutschen als Kurzform von Isabelle bekannt, also weiblich, im Türkischen ist Isa jedoch ein Jungenname. Somit zählt Isa bei uns inzwischen zu den Unisexnamen. Auch Esra und Ezra klingen gleich, doch während Esra im Türkischen ein Mädchenname ist, gilt Ezra im Hebräischen als Jungenname. Beide Namen können in Deutschland somit für Jungen und für Mädchen verwendet werden.

3. Kurzformen werden zu eigenständigen Namen

Viele Unisexnamen entstehen auch durch Verkürzung von Namen: So kann Toni die Kurzform von Anton sein – oder von Antonia; Charlie kann sowohl auf Charles als auch auf Charlotte zurückgehen. Solche Namen waren ursprünglich nicht eintragungsfähig; viele von ihnen haben sich jedoch inzwischen als eigenständige Namen etabliert und können nun für Mädchen und Jungen eingetragen werden. So ist es oft unklar, ob als Langform ein männlicher oder ein weiblicher Name zugrunde liegt.

Daneben gibt es auch Kurzformen, denen recht eindeutig eine geschlechtsspezifische Langform zugeordnet wird. Diese werden entsprechend auch als männlich bzw. weiblich wahrgenommen. Das gilt z. B. für Nick (zu Nikolaus, Nicolas, Niklas etc.) für Jungen und Bea (zu Beatrice, Beatrix) für Mädchen.

Was sagt das Gesetz?

Bis 2008 war es in Deutschland Pflicht, bei einem geschlechtsneutralen Namen noch einen zweiten, geschlechtseindeutigen Namen zu vergeben. Wer sein Kind Kim oder Sascha nennen wollte, musste also z. B. zusätzlich noch Marie oder Paul eintragen lassen, damit das Geschlecht des Kindes erkennbar wird. Noch immer gibt es Standesämter, denen dies – gerade mit Blick auf das Kindeswohl – wichtig ist, auch wenn die Vergabe eines Zweitnamens heute nicht mehr zwingend notwendig ist.

Die Regelungen zur Vergabe von Vornamen sind inzwischen liberaler als noch vor einigen Jahrzehnten. Heute sind Eltern bei der Wahl der Vornamen ihrer Kinder deutlich freier. Dies führt auch dazu, dass nicht nur immer mehr neue oder fremde, sondern auch immer mehr geschlechtsneutrale Namen vergeben werden – auch wenn sie bei uns noch vergleichsweise selten sind.

Nur wenige Unisexnamen sind wirklich „neutral“

Obwohl das Wort „neutral“ impliziert, dass geschlechtsneutrale Namen sich nicht ausschließlich einem der Geschlechter „männlich“ und „weiblich“ zuordnen lassen, so zeigt die Realität: Unisexnamen wenden sich häufig (wieder) einem bestimmten Geschlecht zu. So zeigen sie in den meisten Fällen eine klare Tendenz, für Jungen oder für Mädchen vergeben zu werden. Leo und Ulli werden zum Beispiel viel häufiger als Namen für Jungen wahrgenommen und gewählt, Kim und Lou gelten eher als Namen für Mädchen – wenngleich diese Wahrnehmung natürlich höchst subjektiv ist. Nur sehr wenige Namen werden gleich häufig für beide Geschlechter vergeben: Ein solche Beispiel ist aktuell der Name Nicky.

Fazit

Geschlechtsneutrale Namen sind im Kommen – auch wenn ihre Neutralität starken Schwankungen unterliegt. So spiegeln Unisexnamen viele gesellschaftliche Entwicklungen wider: Offenheit, Vielfalt, Individualität. Sie geben Kindern Spielraum – und Eltern die Möglichkeit, sich von starren Rollenbildern zu lösen. Gleichzeitig zeigt sich: Ganz neutral bleiben viele Namen nicht. Unsere Erfahrungen, Sprache und Kultur prägen, wie wir Namen wahrnehmen.

Namenswahl-Tipp für werdende Eltern

Ihr zieht in Erwägung, eurem Kind einen Unisexnamen zu geben? Dann überlegt gut, wie der Name im Alltag wirkt – im Kindergarten, in Formularen, im Job. Und fragt euch: Kann das Kind sich mit dem Namen eindeutig als Junge oder Mädchen, Mann oder Frau präsentieren, oder wird es viel öfter zu Verwirrungen führen (z. B. Leo für Mädchen, Conny für Jungen)?

In jedem Fall solltet ihr darüber nachdenken, einen zweiten und geschlechtsspezifischen Namen zu vergeben, um es eurem Kind später möglichst einfach zu machen. Im Alltag muss dieser nicht in Erscheinung treten – aber er ist da, wenn euer Kind sich einmal entscheiden sollte, sein Geschlecht schon mit dem Namen deutlich zu machen.

Quellen

Damaris Nübling/Fabian Fahlbusch/Rita Heuser: Namen. Eine Einführung in die Onomastik. 2. Aufl. Tübingen 2015.

Frauke Rüdebusch, Die beliebtesten Vornamen 2024. Diversität und Vielfalt durch SBGG und Unisexnamen. In: Der Sprachdienst 4–5/2025, S. 129–149.

Mirjam Schmuck: Entstehung und Grade der Geschlechtsneutralität von Unisexnamen deutscher und niederländisch-friesischer Rufnamen. In: Stefan Hirschauer/Damaris Nübling (Hrsg.): Namen und Geschlechter – Studien zum onymischen Un/doing Gender. Berlin/Boston 2018 (= Linguistik – Impulse & Tendenzen 76), S. 271-302.

Mirjam Schmuck: Eike, Kim vs. Finley, Rowan. Graduelle Geschlechtsneutralität von Unisexnamen. In: Der Sprachdienst 3–4/2019, S. 136–151.

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