Gewachsener Namenschatz: So haben sich unsere Vornamen entwickelt

Vornamen sind uralt. Es ist sogar davon auszugehen, dass Menschen zu allen Zeiten auf die ein oder andere Weise benannt worden sind. Denn grundsätzlich geht es einerseits darum, Individuen voneinander zu unterscheiden, andererseits dienen Namen der eigenen Identifikation des Namensträgers.

Ganz so weit wollen wir nicht in die Vergangenheit blicken, doch es gibt für einen sehr langen Zeitraum Nachweise über die Vergabe von Vornamen. Und diese geben Aufschluss darüber, wie sich die Vornamen im deutschen Sprachgebiet über die Jahrhunderte entwickelt und verändert haben und was dazu geführt hat, dass unser Namenschatz nach und nach gewachsen ist. So lassen sich für viele Epochen fast typische Vornamenmoden ausmachen. Ein kurzer (und längst nicht vollständiger) Überblick gibt uns einen ersten Eindruck.

Germanische Vornamen: Bedeutung als Hauptmotiv

Vor dem Mittelalter dominierten bei uns germanisch-althochdeutsche Namen, die sich aus jeweils zwei Bestandteilen zusammensetzten – und beide trugen eine konkrete transparente Bedeutung. Viele dieser Namen kennen wir heute noch, so etwa Siegfried (‚Sieg‘ und ‚Frieden‘) oder Dietrich (‚Volk‘ und ‚reich, mächtig‘) bei den Männern, und Adelheid (‚edel, adelig‘ und ‚Art, Wesen, Gestalt‘) oder Heidrun (‚Art, Wesen, Gestalt‘ und ‚Geheimnis, Zauber‘).

Während im Erstglied bei den Namen beider Geschlechter oft die gleichen Bestandteile vorkommen (z. B. Siegfried, Siegrun, Dietrich, Dietlind), wirkt das Zweitglied geschlechtsunterscheidend. Typisch männliche Zweitglieder sind etwa –hart, –mar, –bert, –bald, –fried, –brecht, –brandt, sie tragen oft Bedeutungen von Stärke und Macht. Typisch weibliche Zweitglieder wie –hild, –burg, –run, –gund, –flat, –swind, –lind spielen vielfach auf das edle, milde weibliche Wesen an. Damals war es vor allem die konkrete Bedeutung der Namensbestandteile, die für die Namensgebung entscheidend war: Dem Kind sollte damit ein Heilswunsch mit auf den Weg gegeben werden.

Das Mittelalter: Christliche Namen und Heiligenverehrung

Mit der Christianisierung und der Verehrung von Heiligen setzten sich langsam christlich geprägte Namen wie Daniel, Joseph, Elisabeth oder Theresa durch. Religiöse Motive bestimmten jetzt, welche Namen beliebt waren. Sie verbreiteten sich zunächst besonders im städtischen Bürgertum und verdrängten viele germanisch-deutschen Vornamen aus dem Namenschatz. Im Weiteren konnten sich vor allem Herrschernamen wie Heinrich, Friedrich oder Ludwig behaupten und überdauerten die Zeit.

Renaissance und Humanismus: Antike Namen werden modern

Im 15. und 16. Jahrhundert – der Zeit des Humanismus – wendete man sich der Antike zu. In dieser Zeit wurden viele griechische und lateinische Namen, also Namen des klassischen Altertums, in unseren Namenschatz übernommen: Alexander, Maximilian, Julia und Sophia – Namen also, die heute noch an der Spitze der Beliebtheit stehen, stammen aus dieser Epoche. So war es ihre Herkunft, die zu dieser Zeit das ausschlaggebende Motiv für die Namenswahl war.

Barockzeit: Neue Namen und Übersetzungen

Im Barock (16. bis 18. Jahrhundert) entwickelte sich der Pietismus, eine protestantische Erneuerungsbewegung, die einen besonders frommen Lebenswandel anstrebte und die Bibel sehr streng auslegte. Viele fremde Namen wurden in dieser Zeit ins Deutsche „übersetzt“, teilweise wurden ganz neue Namen erfunden. So entstanden „sprechende“ Namen wie Gottlieb (aus Theophil), Frohmut, Christlieb oder Glaubrecht.

Mehrere Vornamen und Namensableitungen

Ab dem 16. Jahrhundert war es üblich, Kindern mehrere Vornamen zu geben – oft als Zeichen der Verbundenheit mit den Taufpaten. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verlor dieser Brauch an Bedeutung, erlebte aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Comeback. Und auch heute noch werden Kinder gelegentlich nach Familienmitgliedern oder Taufpaten benannt – besonders durch einen Folgenamen –, auch wenn dieses Motiv bei der Namensvergabe eine eher untergeordnete Rolle spielt. Um auch Mädchen nach männlichen Paten benennen zu können, entstanden zudem weibliche Ableitungen – sogenannte Movierungen – wie Wilhelmine, Martina oder Petra, die im 17. und 18. Jahrhundert in Mode kamen.

19. und 20. Jahrhundert: Vielfalt durch kulturelle Einflüsse

In der jüngeren Vergangenheit wurde der Namenschatz vor allem durch internationale Einflüsse bereichert, sowohl kulturell als auch sprachlich. Besonders in höheren Schichten wurden zunehmend französische, slawische und nordische Namen vergeben, etwa Charlotte, Natascha und Astrid, René, Boris und Erik. Daneben blieben christliche und familiäre Motive bedeutend. Nach der Reichsgründung 1871 wurden wieder häufiger germanisch-deutsche Namen gewählt, während fremdsprachige Namen zunächst seltener wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg galten hingegen christliche, hebräische, griechische und lateinische Vornamen als modern – dies hat sich bis heute erhalten, wie die von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) erstellte Liste beliebter Vornamen zeigt.

Gegenwart: Namensvielfalt und Kreativität

Der Namenspool, aus dem werdende Eltern heute schöpfen können, ist so vielfältig wie nie. Neben germanisch-deutschen und religiös geprägten Namen finden sich solche aus der Antike und aus unterschiedlichsten Kulturen. Hinzu kommen kreative, neue oder selbst erfundene Namen, manchmal auch mit ungewöhnlicher Schreibweise, so z. B. Julix, Benimilian, Levanda und Fria. Die Motive für die Namenswahl sind dabei so bunt und vielfältig wie die Gesellschaft selbst.

Quellen

Friedhelm Debus (2012): Namenkunde und Namengeschichte. Berlin.

Institut für Demoskopie Allensbach/Frauke Rüdebusch (2014): Motive der Vornamenwahl. In: Der Sprachdienst 3, S. 109–124.

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